Zur Situation des Deutschunterrichts im Elsass

Die Redaktion der Zeitschrift „Badische Heimat“ hat sich einen Beitrag über die Lage des Deutschunterrichts zwischen Rhein und Vogesen gewünscht, wo Deutsch (Mundarten und Standardsprache offiziell als Regionalsprache ist. Der Beitrag „Zur Situation des Deutschunterrichts im Elsass„ erschien in der Nummer 2/2017. Da erfährt man vieles, das man nicht wusste oder nicht mal ahnte. Federführend waren Monique Matter und François Schaffner.

Eltern einer Vorschule fordern die Einrichtung eines zweisprachigen Kurses

Monique Matter / François Schaffner

Das Elsass ist als Schlemmerland, als Einkaufs- und Wanderregion mit den vielen Burgen, als Region mit berühmten Museen und Sehenswürdigkeiten bekannt. Doch es hat noch anderes anzubieten. Das Elsass gilt als eine der Wiegen der deutschen Sprache seit dem 9. Jh. bis Ende des 16. Jh., als Kulturland. Als französische Gegend ist es ein Teil des rheinischen Humanismus und der Kultur. Viele Elsässer wollen nicht auf die deutsch-französische Zweisprachigkeit verzichten und setzen sich energisch dafür ein.

Das Elsass ist seit längerem ein zweisprachiges Land, ein Land, in dem Französisch und die elsässische Regionalsprache gesprochen werden. Doch muss man sich heute fragen, ob diese Feststellung noch der Wirklichkeit entspricht.

Historisch betrachtet besteht die Regionalsprache der Elsässer aus mehreren sprachlichen Komponenten: Aus der Mundart Elsässerditsch, d. h. aus Alemannisch und Fränkisch, sowie der Standardsprache Hochdeutsch. Über viele Jahrhunderte, vom 14. Jahrhundert bis 1939, wurde Deutsch als Muttersprache und als Unterrichtssprache in den »Teutschen Schulen« (so die Bezeichnung der Grundschulen seit dem Mittelalter) gelehrt.

Nach 1945 erfolgte eine große Zäsur: Französisch wurde seitdem bis in die 70er Jahre als einzige Sprache an den Grundschulen zugelassen. Selbst auf dem Schulhof und auf dem Sportplatz war die Verwendung der elsässischen Mundart, des familiären Dialekts, unter Strafandrohung streng verboten. In den Sekundarschulen wurde Deutsch nun ausschließlich als Fremdsprache unterrichtet, allerdings ohne jeglichen Bezug zum Dialekt. Dies ungeachtet der Tatsache, dass die Mundartsprechenden damals in der Bevölkerung noch eindeutig in der Mehrheit waren.

Zwischen 1950 bis 1980 kam es aufgrund dieser Sprachpolitik zu einem raschen Rückgang im Gebrauch der Regionalsprache in ihren beiden Formen. Dabei wurden der Jugend und den Eltern gezielt Komplexe hinsichtlich der angestammten Sprache eingeimpft .

 

Deutschunterricht in der Primarschule

Erst 1971 sorgte der Oberschulamtsdirektor F. Guyard in einem Interview mit der Zeitung Dernières Nouvelles d'Alsace mit folgender Feststellung für ein Umdenken: »Der alemannische Dialekt bildet in dieser Region die Vor-aussetzung für das Erlernen und Beherrschen der deutschen Sprache. Es wäre sehr bedauerlich, diese sprachliche Komponente verkümmern zu lassen«.

Guten Tag, Rolf!     Z wie Zwirbel, Lehrbuch

Guten Tag, Rolf! Lehrbuch für die 4.           Z wie Zwirbel, Lehrbuch für

und 5. Klasse der Grundschule, 1972       die 2. Klasse der Mittelstufe, 1989

 

Diese Feststellung wurden nun für die regionale Sprachpolitik richtungsweisend, so dass diese gewandelte Sichtweise sich dann allmählich in der Schule verbreiten und etablieren konnte.

Seit 1973 wurde dann auf der Grundlage der sogenannten Holderith-Methode mit spielerischen Sketchen Deutsch an der Grundschule als Unterrichtsfach wieder eingeführt. Leider konnten aber nicht alle Schüler davon profitieren, da einerseits die Lehrkräfte auf einer rein freiwilligen Basis sich dazu bereiterklären mussten und andrerseits die Lehrergewerkschaft der Grundschullehrer (SNI) der Einführung des Deutschunterrichts entschieden Widerstand leistete.

In der Mittelstufe (Collège) wiederum wurde auch für den Deutschunterricht eine regionale Unterrichtsmethode für die Dialektsprechenden eingeführt. Anfangs 1980 entwickelte schließlich der Schriftsteller André Weckmann für die Mittelstufe eine spezifische Lernmethode, die auf den Mundartkenntnissen der Kinder aufbaute, indem sie entsprechende mundartliche Einführungstexte konzipierte. Diese neuen Herangehensweisen beim Erlernen der Regionalsprache können als eine wichtige Wende in der Schulpolitik betrachtet werden. Andrerseits kamen diese Neuerungen zu spät, denn die meisten Familien hatten in ihrem Sprachverhalten schon resigniert und es in der Alltagspraxis aufgegeben, den Dialekt ihren Kindern weiterzugeben.

Die sogenannte ISERCO-Studie (1989–1990) bestätigte dann, dass die Holderith-Reform sich als wenig erfolgreich erwiesen hatte. Eine spätere 2005/6 durchgeführte Untersuchung des Kultusministeriums brachte dann den höchst ernüchternden Befund, dass nur 1 % der Grundschulschüler im Oberelsass und 4 % im Unterelsass noch den Dialekt benutzten.

Eltern wird Auskunft über den zweisprachigen Zug erteilt

Eltern wird Auskunft über den zweisprachigen Zug erteilt (Foto: François Schaffner)

 

Dieser Befund kontrastiert in geradezu exorbitantem Ausmaß mit einer Analyse, die der Oberschulamtsdirektor Pierre Deyon bereits 1982 in einem Rundschreiben an die Schulen mitgeteilt hatte. Darin betonte er ausdrücklich den Stellenwert und die Besonderheit der Regionalsprache und würdigte expressis verbis deren deutsche Wurzeln, die in einem französischen kulturellen Umfeld weiterleben sollten. Zugleich bekundete er die feste Absicht der Schulbehörde, die Regionalsprache in der Schule angemessen zu berücksichtigen, was die Forderung beinhaltete, Hochdeutsch als spezifische Standardform der elsässischen Dialektvarianten in der Schule zu unterrichten und zu lehren.

 

Vorteile der Zweisprachigkeit

Hinter der Feststellung von P. Deyon stand die wissenschaftlich erwiesene Erkenntnis, dass Zweisprachigkeit, in diesem Falle das Erlernen und Beherrschen der deutschen Sprache zusätzlich zur französischen Muttersprache, eine Reihe von Vorteilen impliziert: Die sprachlichen Kompetenzen, die mit der anfänglichen Muttersprache erworben werden, verbessern sich nämlich signifikant durch den Umgang und das Erlernen einer zweiten Sprache und erleichtern so den bilingualen Schülern erwiesenermaßen den späteren Erwerb einer oder mehrerer anderer Sprachen. Dies beruht vor allem auf der Tatsache, dass die dazu erforderlichen sprachlichen Kompetenzen nicht erneut erlernt werden müssen, sondern bereits vorhanden und somit unmittelbar abrufbar sind.

Das frühe Erlernen und Beherrschen der deutschen Sprache erweitert zudem in einer späteren Phase der individuellen Lernbiografie die Möglichkeiten des ausbildungsbezogenen Erfolgs. Man kann auf deutschsprachigen Schulen und Universitäten lernen oder studieren und hat größere Erfolgschancen, wenn es z. B. darum geht, sich um einen Ausbildungsplatz oder eine Lehrstelle im Ausland zu bewerben. Den Elsässern öffnet sich auf diese Weise auch der deutschsprachige Arbeitsmarkt, auf dem es bekanntlich einen großen Mangel an Fachkräften gibt. Auch im Elsass selbst ergeben sich durch die Zwei- oder Mehrsprachigkeit unschätzbare Vorteile hinsichtlich einer beruflichen Karriere, etwa im Bereich der Tourismusbranche oder ganz allgemein auch in der Wirtschaft. Und darüber hinaus: Es ist eine Binsenwahrheit, dass Zwei-oder Mehrsprachigkeit den eigenen kulturellen Horizont erweitert und so auch zu einer offeneren Grundeinstellung und Haltung gegenüber anderen Kulturen beiträgt. Nicht zuletzt ist eine deutsch-französische Zweisprachigkeit in einem zusammenwachsenden Europa auch eine entscheidende Voraussetzung für das nachhaltige Gelingen einer deutsch-französischen Verständigung im eigentlichen Wortsinn.

 

Einführung des zweisprachigen, paritätischen Unterrichts

Das erwähnte Rundschreiben von Pierre Deyon wirkte für die Zweisprachigkeit als eine folgenreiche Initialzündung. Mehrere Bürgerinitiativen lösten im Verein mit Bemühungen der politischen Körperschaft en eine neue Dynamik innerhalb des Schulsystems aus. Den Anfang machten 1991 auf vereinsmäßiger Basis die der Zweisprachigkeit verpflichteten ABCM-Schulen (Association pour le bilinguisme dès la classe de maternelle) sowie die katholische Privatschule des Institut Champagnat in Issenheim. 1992 schloß sich dann auch das staatliche Schulsystem dieser Initiative an.

Die Grundlage des zweisprachigen Unterrichts besteht darin, dass jede Sprache mit einem paritätischen Anteil von 50 %, in Französisch und Deutsch, ab der ersten oder zweiten Stufe der Vorschule unterrichtet wird. Dabei werden bestimmte Fächer in der deutschen bzw. der französischen Sprache unterrichtet, wobei jede Sprache von zwei verschiedenen Lehrkräften praktiziert wird. Es wurden in den Folgejahren seit 1991 mehrere Vereine gegründet, um diesen paritätischen zweisprachigen Unterricht zu fördern, wobei diese im soziokulturellen Bereich und im sozialpädagogischen Bereich aktiv wurden. Im Verband für die Sprache und Kultur im Elsass und im deutschsprachigen Lothringen (Comité fédéral pour la langue régionale en Alsace et en Moselle germanophone) haben diese Vereine, die eine treibende Kraft bei der Förderung der Regionalsprache sind, sich seit längerem zu einem Dachverband zusammengeschlossen. Gemeinsam konnten so auch Studienreisen in die Bretagne, ins Baskenland, ins Aostatal und nach Südtirol organisiert werden, um in diesen Regionen mit analoger Sprachsituation wie im Elsass sich über Fragen des Unterrichts der Regionalsprache auszutauschen.

Es war nicht immer einfach, von der Schulverwaltung die Unterstützung oder auch die Genehmigung zur Eröffnung einer zweisprachigen Klasse zu erhalten. Nur durch zahlreiche Elterninitiativen und öffentliche Werbeveranstaltungen, mitunter auch durch Demonstrationen, konnte dieses Ziel im Einzelfall dann doch erreicht werden.

Eltern einer Vorschule fordern die Einrichtung eines zweisprachigen Kurses

Eltern einer Vorschule fordern die Einrichtung eines zweisprachigen Kurses (Foto: Monique Matter)

 

Trotz der hartnäckigen Blockadehaltung des Oberschulamtes, das diesen Prozess zu unterlaufen und zu verlangsamen suchte, konnte durch permanenten elterlichen Druck die kontinuierliche Verbreitung des Deutschunterrichts durchgesetzt werden. Der folgende tabellarische Überblick veranschaulicht diesen erfolgreichen Trend.

 

Die Entwicklung der Schülerzahlen in der zweisprachigen Schulausbildung im Elsass (1991–2016)

Schulanfang

1991

2000

2005

2010

2016

Vor- & Grundschulen

90

6 731

12 677

18 665

27 874

Mittelstufe Collège

 

344

1 801

3 423

5 033

Oberstufe ABIBAC

 

44

611

1 093

1 424

Total / Jahrgang

90

7 119

15 089

23 181

34 331

Im Schuljahr 2016/17 besuchen 15,6 % der gesamten Schüler der Primarschule den zweisprachigen Zug: 19,3% in der Vorschule (im Oberelsass 23,3 %, im Unterelsass 16,5 %), in der Grundschule 13,4 %, (im Oberelsass 15,2 % und im Unterelsass 12,1 %)

 

Zahlenmäßige Entwicklung der Schulen mit zweisprachigem Angebot

Schulanfang

1991

2000

2005

2010

2016

Vor- & Grundschulen

4

161

245

306

365

Mittelstufe Collège

 

13

36

54

79

Oberstufe ABIBAC

 

3

9

14

18

Die in den Tabellen aufgeführten Zahlen beziehen sich auf die Staatschulen und Privatschulen, die mit dem Staat unter Vertrag stehen. Daneben existieren noch staatsunabhängige freie Privatschulen, in denen ungefähr 600 Schüler in einem bilingualen Kurs eingeschrieben sind. Darüber hinaus wurde auch in einigen Berufsschulen im Elsass ein deutschsprachiger Zug eingerichtet, wobei diese Schulen einen Austausch mit badischen Berufsgymnasien organisiert haben.

 

Vereinbarungen zwischen dem Staat, der Region und den beiden Départements

Seit 1994 sind zur Förderung des bilingualen Unterrichts insgesamt vier Vereinbarungen (jeweils für einen Zeitraum von 6 Jahren) zwischen dem Staat, der Region und den beiden Départements geschlossen worden. Die Gebietskörperschaften subventionieren den Deutschunterricht mit jährlich drei Millionen Euro, wobei diese Förderung den öffentlichen Schulen, den Schulen der »Vereinigung ABCM-Zweisprachigkeit« sowie Vereinen, die sich für die Verbreitung der Regionalsprache einsetzen, zugutekommt. Wichtige schulpolitische Regelungen wurden 2007 vereinbart: ein dreistündiger Deutschunterricht, der mit dem ersten Schuljahr der Vorschule (Alter 3–6 Jahre) beginnt und bis zum Ende der Schulpflicht (Alter 15 Jahre) fortgeführt wird; eine Verdoppelung der Zahl der Schüler im zweisprachigen paritätischen Kurs mit je dreizehn französischen bzw. deutschen Unterrichtsstunden; die Einstellung von jährlich 50 Lehrern für diesen Zug; die Anpassung der Aufnahmeprüfung (CAPES-Certificat d’aptitude au professorat de l’enseignement du second degré) für die Lehrkräft e der Mittel- und Oberschulen, die ihr Fach in Deutsch unterrichten,an die Erfordernisse der paritätischen Züge.

Die Umsetzung dieser Bestimmungen wurde in der Praxis jedoch verzögert und nur zum Teil verwirklicht. Der Verband für die Regionalsprache im Elsass hatte z.B. vorgeschlagen, den deutschsprachigen Kandidaten im Rahmen des Einstellungswettbewerbs größere Erfolgschancen einzuräumen, indem diesen erlaubt werden sollte, die meisten schriftlichen Prüfungen auf Deutsch abzulegen. Aber von dieser Möglichkeit wurde nie Gebrauch gemacht, dies obwohl das Oberschulamt einerseits ständig den Mangel an entsprechenden Lehrkräften beklagte, andererseits genau diesen Mangel aber als willkommenes Argument benutzte, um die Eröffnung neuer zweisprachiger Klassen zu boykottieren. Die letzte Vereinbarung wurde noch 2015, unmittelbar vor der Territorialreform, d. h. vor Gründung der neuen Région Grand Est, unterzeichnet. Allerdings kam es hierbei zu einem deutlichen Rückschritt, denn die neuen Bestimmungen blieben weit hinter den Festlegungen von 2007 zurück. Dies gilt für die Einstellung der Lehrkräfte, die Eröffnung neuer zweisprachiger Schulen, den paritätischen Unterricht in den Sekundarschulen und den Gymnasien, so dass den Familien künftig kein flächendeckendes Angebot zur Verfügung stehen wird. Außerdem ist die finanzielle Unterstützung nur für die drei kommenden Jahre bis 2018 gewährleistet. Danach werden die Karten neu gemischt, da dann der Regionalrat der neuen Großregion, in dem die elsässischen Regionalräte in einer deutlichen Minderheitenposition sind, über die weitere Finanzierung des Deutschunterrichts und somit auch über das zweisprachige Angebot entscheiden. Es ist allen Ernstes zu befürchten, dass die Regionalsprache des Elsass dann einen existenziell entscheidenden Rückgang erfahren wird.

Der Verband für die Regionalsprache hat die Präsidenten des Regionalrates und der Départements aufgefordert, die aktuellen Vereinbarungen ohne Zeitverzug schon jetzt signifikant nachzubessern. Der Präsident der Région Grand Est hat diese Forderung zurückgewiesen und die bestehenden Regelungen als voll befriedigend bezeichnet. Die beiden Präsidenten der Départements wiederum haben dafür plädiert, die auf drei Jahre befristete Übergangslösung bis zu deren Ende abzuwarten und erst dann über eventuelle Änderungen neu zu entscheiden.

Als Fazit kann festgehalten werden: Solange die elsässischen Volksvertreter sich nicht deutlich engagierter für die Entwicklung des Deutschunterrichts im Elsass einsetzen, werden die Schulbehörden von sich keinerlei Initiativen ergreifen, um die Unterrichtssituation beim Deutschunterricht entscheidend zu verbessern.

Kunstatelier, zweisprachige Schilder in der Schule

Kunstatelier, zweisprachige Schilder in der Schule (Foto: François Schaffner)

 

Die Reform des Collège (Sekundarschule) und die Folgen für den Deutschunterricht

Das entsprechende Rahmengesetz für das französische Bildungswesen wurde am 8. Juli 2013 vom Parlament beschlossen. Die Ausführungsverordnung und der Reformerlass für die Sekundarschule (Collège: Gesamtschule von der 6. bis 9. Klasse) folgten am 19. Mai 2015. Die neuen Bestimmungen wurden mit dem Schulbeginn 2016 eingeführt. Diese Reform hat eine heftige Debatte ausgelöst und wurde auch in Deutschland sehr aufmerksam verfolgt. Sie führte zu einer Schwächung des Stellenwerts der deutschen Sprache im französischen Schulsystem und zu einer Gefährdung der Mehrsprachigkeit im Allgemeinen. Deutsch als Fremdsprache wurde in der ersten Klasse des Collège (6. Klasse) im bislang zweisprachigen Zug Englisch/Deutsch eliminiert, während Englisch als einzige Fremdsprache eine Aufwertung erfuhr. Für alle Schüler wird die zweite Fremdsprache nun erst ab der 7. Klasse unterrichtet, allerdings als Pflichtfach.

Die Auswirkungen dieser für ganz Frankreich geltenden Reform sind aber für das Elsass besonders gravierend: Bislang haben alle Schüler im Elsass in der Grundschule ein bis drei Stunden pro Woche Deutschunterricht, da Deutsch als Regionalsprache unterrichtet wird. Sie können künftig Deutsch weiterhin auch in der ersten Klasse des Collège (6. Klasse) lernen und zusätzlich Englisch oder eine andere Fremdsprache auf freiwilliger Basis wählen, also ein Jahr früher als in ganz Frankreich. Aber es ergab sich eine Schwächung des Deutschunterrichts dadurch, dass der bisherige zweistündige Zusatzunterricht des Fachs Geschichte in deutscher Sprache in der 8. und 9. Klasse nun gänzlich gestrichen wurde.

Darüber hinaus hat die Reform auch negative Wirkungen auf den bilingualen paritätischen Sprachunterricht im Collège. Da sie insbesondere eine Aufwertung der individuellen Förderung, der Gruppenarbeit und der schriftlichen Arbeiten vorschreibt, gerät der Zeitanteil der Fächer unter Druck. Entsprechend wird befürchtet, dass die Zahl der Unterrichtsstunden im paritätischen Sprachkurs von dreizehn Stunden – wie vom Gesetz vorgegeben – auf sieben Stunden, gekürzt werden könnte. Im Gymnasium, das lediglich aus drei Klassenstufen besteht, wurde die Parität nie umgesetzt. Die Schüler haben dort die Möglichkeit den zweisprachigen Kurs fortzusetzen, wenn sie sich für die Option ABIBAC entscheiden, also das deutsch-französische Doppelabitur. Es wird ihnen dann sechs Stunden Deutschunterricht und ein zweistündiger Geschichtsunterricht in Deutsch erteilt, um das Abschlusszeugnis Abitur/Baccalauréat zu erhalten.

Die drei Filme Am Ufer des Rheins           Straßenschilder im Ecomusée d›Alsace, Freilichtmuseum bei Ungersheim

Die drei Filme »Am Ufer des Rheins«          Straßenschilder im Ecomusée d’Alsace, Freilichtmuseum bei Ungersheim (Foto: Monique Matter)

 

Eine dynamische Sprachpolitik

Insbesondere der Generalrat des Oberelsass (Département Haut-Rhin) hat bis Ende 2012 eine dynamische und konsequente Sprachpolitik verfolgt. Dank seiner finanziellen Unterstützung konnten Lesebücher auf Deutsch für die Schulbibliotheken erworben und Theaterwerkstätten für die bilingualen Klassen eingerichtet werden. Die aktiv betriebene Elterninformation zu den bilingualen paritätischen Zügen wie auch die Neueinrichtung solcher Züge sind ganz wesentlich auch dem Engagement dieser Gebietskörperschaft zu verdanken. Im schulischen Umfeld der Jugendlichen wurden, in Absprache mit den Lehrern, am Eingang mehrerer Schulen und vor den Klassenzimmern zweisprachige Schilder angebracht. Diese deutsch-französische Beschilderung hat ihre eigene Symbolkraft und betont in der Außenwirkung wie wichtig die Zweisprachigkeit gerade mit Blick in die Zukunft für das Elsass ist. Darüber hinaus vermag auch die zweisprachige Beschilderung im öffentlichen Raum auf Straßenschildern und Gebäuden das Interesse für Deutsch als historische Sprache der Region neu zu wecken.

Diesem Ziel dient auch »die Sprochmühle«, eine Dauerausstellung im Ecomusée, dem auch in Baden weithin bekannten Freilichtmuseum in der Nähe von Ungersheim. Sie informiert über die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft der Regionalsprache, präsentiert DVD Filme wie z.B. »Am Ufer des Rheins, das Abenteuer unserer Sprache« und zwei Buchpublikationen, jeweils in französischer und deutscher Sprache, nämlich Histoire de la Langue régionale d’Alsace sowie Sprache und Kultur im Elsass, eine Geschichte. So stehen wichtige Medien zur Verfügung, die es allen Kindern und Erwachsenen im Elsass ermöglichen, interessante und lehrreiche Informationen über die Regionalgeschichte und die Regionalkultur des Elsass zu erhalten.

 

Literatur

Zusammenleben, André Weckmann, Strasbourg 1990

Zusammenleben, André Weckmann, Strasbourg 1990

Sprache und Kultur im Elsass: Eine Geschichte. Hg. vom Réseau Canopé/Salde, Straßburg 2016. 208 Seiten. ISBN 978-2-903850-40-1. 24 €.

Eine Rezension dieser deutschsprachigen Ausgabe findet sich in diesem Heft der Badischen Heimat.

Es ist in diesem Kontext wichtig, dass die Elsässer erkennen, dass die geografi sch so günstige Lage am Oberrhein uns einen kulturellen Reichtum geschenkt hat, den es auch künftig zu erhalten und zu pflegen gilt. Da das Land durch eine gemeinsame Sprache grenzüberschreitend mit den Regionen auf der anderen Seite des Rheinufers verbunden ist, hat es im zusammenwachsenden Europa auch eine wichtige Brückenfunktion. Die Kenntnis und Pflege der Regionalsprache eröffnet den Elsässern die Möglichkeit, die Beziehungen in einer europäischen Grenzregion dynamisch weiterzuentwickeln und so mit Millionen Menschen in Kontakt zu treten und zu kommunizieren.

Das Titelbild des oben zitierten Unterrichtsbuchs von André Weckmann beinhaltet zugleich ein wegweisendes Programm für die Zukunft: Es wirbt für das Zusammenleben der Sprachen und Menschen in einem offenen Europa. Denn erst wenn die sprachlichen Mauern fallen, können – wenn auch langsamer – die Mauern oder Grenzen in den Köpfen fallen.

Matter Monique et Schaffner Francois

Anschrift der Autoren Monique Matter

Präsidentin des Verbands für die Kultur- und Regionalsprache im Elsass und im deutschsprachi-gen Lothringen

F-67390 Marckolsheim 10 Rue des Vosges

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François Schaffner

Vize-Präsident des Verbands für Kultur- und Regionalsprache im Elsass und im deutschspra-chigen Lothringen, ehemaliger Präsident der René Schickele-Gesellschaft/Culture et Bilinguisme d’Alsace et de Moselle, Geschäftsleiter des Verlags Salde

F- 67100 Strassburg 14 rue des Sarcelles

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  1. Das Bild mit den Kindern, die an einem Tisch sitzen ist ein Auszug aus einem Theaterspiel auf Hochdeutsch Collège (Foto Patrick Kleinclaus)